In dem heutigen Doppelhaus Landrat-Christians-Straße 103–105 wurde Maria Wilhelmine Oelfken, genannt Tami, geboren. Hier wuchs sie als zweitältestes von sieben Kindern in einer gutbürgerlichen Familie auf, was prägend für ihr ganzes Leben war. Der Vater war Leiter der Versandabteilung der Bremer Wollkämmerei und ein angesehener Kommunalpolitiker. Die Mutter führte den Haushalt und erzog die Kinder nach strengen Grundsätzen.
Wohnhaus von Tami Oelfken und Rathaus Blumenthal
Quelle: Archiv DOKU Blumenthal
In Vegesack besuchte Tami Oelfken die Städtische Höhere Mädchenschule und anschließend in Bremen das Lehrerinnenseminar von Prof. A. Kippenberg. Diese Ausbildung entsprach nicht ihrem Berufswunsch. Sie wollte Schriftstellerin werden, doch ihre Eltern wollten sie wegen eines angeborenen Hüftleidens gut versorgt wissen. 1908 schloss sie ihre Ausbildung zur Lehrerin mit dem Examen ab und trat in den staatlichen Schuldienst ein. Von 1909–1917 unterrichtete sie an der evang. Volksschule Grohn. Sie wurde nach eigenen Angaben „eine leidenschaftlich interessierte Lehrerin“ ². Früh verfolgte sie reformpädagogische Ansätze, die sie als engagierte Lehrerin in die Praxis umzusetzen versuchte. Wegen ihrer ungewöhnlichen Methoden wurde sie schließlich nach Tarmstedt versetzt. Die Nähe zu Worpswede ermöglichten ihr engen Kontakt zu ihrem großen Vorbild Heinrich Vogeler und der Barkenhoff-Kommune. Die zum Teil kritischen Auseinandersetzungen mit Vogelers Arbeitsschulplänen vertieften und bestärkten ihre eigenen pädagogischen Vorstellungen. Tami Oelfken wurde Mitglied im „Bund der Entschiedenen Schulreformer“ und siedelte mit kurzen Zwischenstation in Thüringen und Dresden 1920 nach Berlin um.
Tami Oelfken
Quelle: © Siegfried Lauterwasser
Zu dieser Zeit war Berlin ein Zentrum für den Aufbruch auf vielen Ebenen. Der Weimarer Schulkompromiss ließ neben der Gründung weltlicher Schulen auch die Gründung von privaten Reformschulen zu.
Tami Oelfken war einige Jahre in solchen privaten Schulen angestellt, bevor sie 1928 die staatliche Lizenz für ihre eigene private Reformschule erhielt, die „Tami-Oelfken-Gemeinschaftsschule“ mit angeschlossener Elternschule. Ihr Unterricht zeichnete sich durch gemeinschaftliches, fächerübergreifendes Lernen in altersheterogenen Gruppen aus.
Diese eigene Schulpraxis von Tami Oelfken erstreckte sich nur über wenige Jahre. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten führte 1934 zur Schließung ihrer Schule wegen pazifistischer, kommunistischer und judenfreundlicher Tendenzen. Sie selbst erhielt lebenslanges Berufsverbot. Versuche im Ausland ihre Schule wieder aufzubauen scheiterten.
Zeitgleich zu ihrer Lehrerinnentätigkeit war Tami Oelfken auch schriftstellerisch tätig. Ihr Werk ist breit gefächert. Es umfasst u.a. Kinderbücher, Erzählungen, Kurzgeschichten, Romane und Gedichte. Viele ihrer Erzählungen und v.a. ihr fiktiv-autobiographischer Roman „Tine“ geben Einblicke in die Lebensverhältnisse in Blumenthal vom 19. ins 20. Jahrhundert. In dieser Zeit wuchs die Bremer Wollkämmerei zu einem Betrieb mit 2000 Arbeiterinnen und Arbeitern heran und Blumenthal entwickelte sich in kürzester Zeit vom Fischerdorf zum Industriestandort. Tami Oelfken schildert anschaulich und einfühlsam die damit verbundenen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Probleme.
1941 wurde der Roman „Tine“ verboten. Er wurde erst 1947 unter dem Titel „Maddo Clüver“ neu aufgelegt. 1942 wurde Tami Oelfken aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhielt Schreibverbot. Außerdem führte ihre kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der NS-Zeit dazu, dass sie des Öfteren zur Vernehmung von der Gestapo vorgeladen wurde. Sie versuchte sich diesen Vorladungen zu entziehen, indem sie häufiger ihre Wohnorte wechselte. 1943 ließ sie sich, unterstützt von Freundinnen und Freunden, in Überlingen am Bodensee nieder. Dort erlebte sie das Ende des Krieges.
Eindrückliche Zeugnisse über die NS-Zeit von 1939 bis zum Kriegsende hielt Tami Oelfken in ihrem Buch „Fahrt durch das Chaos“ fest. Die Schriftstellerin wird darin als mutige und leidenschaftliche Gegnerin des NS-Regimes erkennbar. Sie schreibt dort: „Mir sind die Menschen wichtig“ und „Nach diesem Krieg gibt es nur eine Wiedergutmachung: sein Leben einzusetzen für den Frieden“ ³.
Nach Kriegsende gelang es Tami Oelfken nur im begrenzten Maße zu publizieren. Das Nachkriegsdeutschland verweigerte ihr die Rehabilitation. Im Gegenteil, ihre pazifistischen Ideen und ihr Eintreten für die Ost-West-Verständigung führten zu Nachteilen. Im Alter war sie auf private Hilfe angewiesen.
Die Anerkennung, die ihrem vielschichtigen literarischen Werk zukommen müsste, ist bis heute ausgeblieben. 1957 starb sie vereinsamt in München. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem evang. Friedhof Bremen-Blumenthal.
Grabstätte von Tami Oelfken
Quelle: I. Zorn
Verfasst von M. Hartmann-Wöhrle und I. Zorn
1 Zitat auf Gedenktafel: Tami Oelfken, „Der wilde Engel“ (Romanfragment) zitiert nach Gina Weinkauff, „Bis jetzt bin ich von Zuversicht getragen“, Aisthesis Verlag 2024, S. 58
2 ebd., S. 27
3 Tami Oelfken, „Fahrt durch das Chaos“, Hrsg. M. Bosch, Libelle Verlag Lengwil 2003, S. 136 und S. 155
Tami Oelfken, „Maddo Clüver - Konturen einer Kinderlandschaft“, Progress Verlag Düsseldorf 1956
Tami Oelfken, „Die Sonnenuhr“, Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar 1954
Tami Oelken, „Traum am Morgen“, Bertelsmann Verlag Gütersloh 1950
Tami Oelfken, „Stine vom Löh“, Bertelsmann Verlag Gütersloh 1953
Tami Oelfken, „Nickelmann erlebt Berlin“, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig 2020
Gina Weinkauff, „Bis jetzt bin ich von Zuversicht getragen“, Aisthesis Verlag Bielefeld 2024
Ulf Fiedler, „Dichter an Strom und Deich“, Hauschild Verlag Bremen 1995, S. 41–50
Jens Pollem, https://tami-oelfken.schule.bremen.de/unsere-schule/tami-oelfken-14456
In dem heutigen Doppelhaus Landrat-Christians-Straße 103–105 wurde Maria Wilhelmine Oelfken, genannt Tami, geboren. Hier wuchs sie als zweitältestes von sieben Kindern in einer gutbürgerlichen Familie auf, was prägend für ihr ganzes Leben war. Der Vater war Leiter der Versandabteilung der Bremer Wollkämmerei und ein angesehener Kommunalpolitiker. Die Mutter führte den Haushalt und erzog die Kinder nach strengen Grundsätzen.
Wohnhaus von Tami Oelfken und Rathaus Blumenthal
Quelle: Archiv DOKU Blumenthal
In Vegesack besuchte Tami Oelfken die Städtische Höhere Mädchenschule und anschließend in Bremen das Lehrerinnenseminar von Prof. A. Kippenberg. Diese Ausbildung entsprach nicht ihrem Berufswunsch. Sie wollte Schriftstellerin werden, doch ihre Eltern wollten sie wegen eines angeborenen Hüftleidens gut versorgt wissen. 1908 schloss sie ihre Ausbildung zur Lehrerin mit dem Examen ab und trat in den staatlichen Schuldienst ein. Von 1909–1917 unterrichtete sie an der evang. Volksschule Grohn. Sie wurde nach eigenen Angaben „eine leidenschaftlich interessierte Lehrerin“ ². Früh verfolgte sie reformpädagogische Ansätze, die sie als engagierte Lehrerin in die Praxis umzusetzen versuchte. Wegen ihrer ungewöhnlichen Methoden wurde sie schließlich nach Tarmstedt versetzt. Die Nähe zu Worpswede ermöglichten ihr engen Kontakt zu ihrem großen Vorbild Heinrich Vogeler und der Barkenhoff-Kommune. Die zum Teil kritischen Auseinandersetzungen mit Vogelers Arbeitsschulplänen vertieften und bestärkten ihre eigenen pädagogischen Vorstellungen. Tami Oelfken wurde Mitglied im „Bund der Entschiedenen Schulreformer“ und siedelte mit kurzen Zwischenstation in Thüringen und Dresden 1920 nach Berlin um.
Tami Oelfken
Quelle: © Siegfried Lauterwasser
Zu dieser Zeit war Berlin ein Zentrum für den Aufbruch auf vielen Ebenen. Der Weimarer Schulkompromiss ließ neben der Gründung weltlicher Schulen auch die Gründung von privaten Reformschulen zu.
Tami Oelfken war einige Jahre in solchen privaten Schulen angestellt, bevor sie 1928 die staatliche Lizenz für ihre eigene private Reformschule erhielt, die „Tami-Oelfken-Gemeinschaftsschule“ mit angeschlossener Elternschule. Ihr Unterricht zeichnete sich durch gemeinschaftliches, fächerübergreifendes Lernen in altersheterogenen Gruppen aus.
Diese eigene Schulpraxis von Tami Oelfken erstreckte sich nur über wenige Jahre. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten führte 1934 zur Schließung ihrer Schule wegen pazifistischer, kommunistischer und judenfreundlicher Tendenzen. Sie selbst erhielt lebenslanges Berufsverbot. Versuche im Ausland ihre Schule wieder aufzubauen scheiterten.
Zeitgleich zu ihrer Lehrerinnentätigkeit war Tami Oelfken auch schriftstellerisch tätig. Ihr Werk ist breit gefächert. Es umfasst u.a. Kinderbücher, Erzählungen, Kurzgeschichten, Romane und Gedichte. Viele ihrer Erzählungen und v.a. ihr fiktiv-autobiographischer Roman „Tine“ geben Einblicke in die Lebensverhältnisse in Blumenthal vom 19. ins 20. Jahrhundert. In dieser Zeit wuchs die Bremer Wollkämmerei zu einem Betrieb mit 2000 Arbeiterinnen und Arbeitern heran und Blumenthal entwickelte sich in kürzester Zeit vom Fischerdorf zum Industriestandort. Tami Oelfken schildert anschaulich und einfühlsam die damit verbundenen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Probleme.
1941 wurde der Roman „Tine“ verboten. Er wurde erst 1947 unter dem Titel „Maddo Clüver“ neu aufgelegt. 1942 wurde Tami Oelfken aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhielt Schreibverbot. Außerdem führte ihre kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der NS-Zeit dazu, dass sie des Öfteren zur Vernehmung von der Gestapo vorgeladen wurde. Sie versuchte sich diesen Vorladungen zu entziehen, indem sie häufiger ihre Wohnorte wechselte. 1943 ließ sie sich, unterstützt von Freundinnen und Freunden, in Überlingen am Bodensee nieder. Dort erlebte sie das Ende des Krieges.
Eindrückliche Zeugnisse über die NS-Zeit von 1939 bis zum Kriegsende hielt Tami Oelfken in ihrem Buch „Fahrt durch das Chaos“ fest. Die Schriftstellerin wird darin als mutige und leidenschaftliche Gegnerin des NS-Regimes erkennbar. Sie schreibt dort: „Mir sind die Menschen wichtig“ und „Nach diesem Krieg gibt es nur eine Wiedergutmachung: sein Leben einzusetzen für den Frieden“ ³.
Nach Kriegsende gelang es Tami Oelfken nur im begrenzten Maße zu publizieren. Das Nachkriegsdeutschland verweigerte ihr die Rehabilitation. Im Gegenteil, ihre pazifistischen Ideen und ihr Eintreten für die Ost-West-Verständigung führten zu Nachteilen. Im Alter war sie auf private Hilfe angewiesen.
Die Anerkennung, die ihrem vielschichtigen literarischen Werk zukommen müsste, ist bis heute ausgeblieben. 1957 starb sie vereinsamt in München. Ihre Grabstätte befindet sich auf dem evang. Friedhof Bremen-Blumenthal.
Grabstätte von Tami Oelfken
Quelle: I. Zorn
Verfasst von M. Hartmann-Wöhrle und I. Zorn
Gina Weinkauff, „Bis jetzt bin ich von Zuversicht getragen“, Aisthesis Verlag Bielefeld 2024
Ulf Fiedler, „Dichter an Strom und Deich“, Hauschild Verlag Bremen 1995, S. 41–50
Jens Pollem, https://tami-oelfken.schule.bremen.de/unsere-schule/tami-oelfken-14456
1 Zitat auf Gedenktafel: Tami Oelfken, „Der wilde Engel“ (Romanfragment) zitiert nach Gina Weinkauff, „Bis jetzt bin ich von Zuversicht getragen“, Aisthesis Verlag 2024, S. 58
2 ebd., S. 27
3 Tami Oelfken, „Fahrt durch das Chaos“, Hrsg. M. Bosch, Libelle Verlag Lengwil 2003, S. 136 und S. 155
Tami Oelfken, „Maddo Clüver - Konturen einer Kinderlandschaft“, Progress Verlag Düsseldorf 1956
Tami Oelfken, „Die Sonnenuhr“, Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar 1954
Tami Oelken, „Traum am Morgen“, Bertelsmann Verlag Gütersloh 1950
Tami Oelfken, „Stine vom Löh“, Bertelsmann Verlag Gütersloh 1953
Tami Oelfken, „Nickelmann erlebt Berlin“, Hentrich & Hentrich Verlag Berlin Leipzig 2020